Klassenfahrten können heutzutage nicht weit genug weg von zu Hause führen. Für unsereins war es in den 80ern dagegen schon ein Erlebnis, in den umliegenden Großstädten herumzutouren. Als ein Highlight muss daher unser im Nachklapp der Jugendweihe getätigter Trip nach Berlin im Frühjahr 1986 gelten. Berlin-Ost, versteht sich.
Die Hauptstadt der DDR war in vielerlei Hinsicht anders als der Rest des Landes. Zum einen wurden die Ostberliner in der Versorgung gegenüber den restlichen Bezirken bevorzugt, nicht zuletzt deswegen, um auswärtigen Besuchern einen Lebensstandard vorzuführen, den es so anderenorts gar nicht gab. Dazu kam, dass sich durch das nahe Westberlin eine Subkulturszene entwickelt hatte, die deutlich westlicher beeinflusst war als in der Peripherie. Kamen dann solche Provinzkinder wie wir in die große Stadt, stand man, wie damals geschehen, mit offenem Mund da, wenn man mal einen echten Psychobilly zu Gesicht bekam.
Ansonsten lief die Fahrt streng nach Programm ab. Man fuhr morgens mit der S-Bahn von unserer Unterkunft in Rüdersdorf in die City, besuchte Pergamonmuseum, Fernsehturm oder SEZ und sah sich abends im altehrwürdigen Metropol-Theater das ebenso altehrwürdige Musical „Kiss Me, Kate“ an. Nur nix dem Zufall und der Eigeninitiative überlassen!
Ein einziges Mal wurde von diesem durchorganisierten Programm abgewichen. Wir bekamen beim Besuch des Alexanderplatzes ein gewisses Maß an Freizeit zugestanden, einzige Auflage: Punktsoundso Treffpukt Weltzeituhr! Wir stürzten umgehend in alle Richtungen auseinander, die meisten enterten das CENTRUM Warenhaus, wo ich im Getümmel schlussendlich den Anschluss verlor und auf eigene Faust das Terrain erkundete.
Ich hatte irgendwann genug gesehen, saß, um die letzte halbe Stunde bis zur vereinbarten Treffzeit zu überbrücken auf dem Sims des „Brunnens der Völkerfreundschaft“ herum, als sich in meiner Sichtweite ein paar ganz in helle Jeans gewandete Schönheiten aufbauten, miteinander tuschelten und dann schnurstracks in meine Richtung marschierten. „Sag mal…“ tönte schon die erste, „können wir dir ein wenig Kleingeld geben?“ Ich muss wohl ziemlich verdattert genickt haben, denn schon klimperte eine ansehnliche Menge der berühmt-berüchtigten „Alu-Chips“ hinein. Und schon waren die spendablen Grazien wieder verschwunden. Allerdings nicht lange. Mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht erschienen sie wieder und legten mit „Da, noch was“ eine noch größere Menge drauf. Erst jetzt konnte ich mich zu einem „Sagt mal, habt ihr zu viel davon?“ durchringen. Und so wurden mir Unwissendem erst einmal die Modalitäten des deutsch-deutschen Finanzwesens beigebracht. Die Mädels – Westberlinerinnen auf Klassenfahrt – waren als 16jährige bereits vom Zwangsumtausch betroffen, konnten aber im „Konsumparadies“ DDR freilich herzlich wenig mit dem Geld anfangen. Rücktauschen oder ausführen durfte man es auch nicht – also konnte man es auch verschenken. Tja, und der glückliche Empfänger für die Ostgeld-Reserven einer ganzen Westberliner Schulklassse war dann wohl ich. Die Summe ist mir nicht mehr genau präsent, war aber für einen 14jährigen damals gar nicht übel. Wenn das die Staatsmacht gesehen hätte…