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Heißes, eiskalt serviert. Oder: Wie ich beinahe Katarina Witt heiratete (1986)

01 Nov

Viele Prominente sind mir zeitlebens nicht über den Weg gelaufen. Mal ein günstiger Platz vor der Konzertbühne, mal der eine oder andere Künstler auf einer Aftershow-Party, das war’s. Am nächsten kam ich wohl ausgerechnet der bekanntesten Sportlerin der DDR.

Mein Vater eröffnete mir eines Winternachmittags des Januars 1986, dass seine Firma einige Karten für ein Schaulaufen des Eiskunstlauf-Clubs SC Karl-Marx-Stadt erhalten hatte. Diese Tickets sollten den Kindern der Betriebsangehörigen zugute kommen und die Veranstaltung sollte schon in den nächsten Tagen stattfinden. Nun war Eiskunstlauf in der DDR dank einiger Olympiasiege, Welt- und Europameistertiteln sowohl im Damen- als auch Herren- und Paarbereich ein äußerst populärer Sport, der Millionen selbst zu nachtschlafener Zeit vor den Fernseher lockte. So gab es für mich gar kein Überlegen: Da wollte ich hin!

Daher zuckelte keine Woche später der firmeneigene Kleinbus der polnischen Marke FSC Żuk durch das verschneite Sachsen in das 90 Kilometer entfernte Karl-Marx-Stadt. Man enterte den Veranstaltungsort und suchte sich seine Plätze. Nun sind Eishallen grundlegend keine sonderlich gemütlichen Locations, aber der damalige Stützpunkt des erfolgreichsten Eislaufclubs der DDR schien ein besonders unwirtlicher Ort zu sein. Reihen voller harter Holzbänke und Temperaturen, die sich nur wenig von den Außenbedingungen zu unterscheiden schienen. Immerhin saß ich, nur von einem etwa einen Meter breiten und das Eisoval umrundenden Laufgang von der Holzbande getrennt, in der ersten Reihe. Freie Sicht, auf das, was nun folgen sollte.

Der genaue Ablauf der Veranstaltung ist weitestgehend im Dunkel meiner Erinnerung verschwunden. Ein paar verblasste Bilder gibt das Gedächtnis noch preis, wie große Gruppennummern mit den Nachwuchs- und Kindersportlern des Clubs, vielleicht war auch noch das eine oder andere ehemalige Aushängeschild des Vereins wie Anett Pötzsch oder Gabriele Seyfert auf dem Eis. Wie erwähnt – ich weiß es nicht mehr.

Die Veranstaltung neigte sich bereits dem Ende entgegen, als der Hallensprecher eine Überraschung ankündigte. „Meine sehr verehrten Damen und Herren…bitte begrüßen Sie…unsere frischgebackene Europameisterin…unsere Kati…Katarina Witt!“ Donnernder Applaus und großes Staunen. Der Sport-Superstar des Landes war eben in Kopenhagen zum vierten Mal in Folge Europameisterin geworden und hatte noch am Tag zuvor beim traditionellen Schluss-Schaulaufen des Championats auf dem Eis gestanden. Und da war sie jetzt schon wieder hier? Für einen DDR-Büger war die dänische Hauptstadt so weit entfernt wie Tokio, man hatte überhaupt kein Gefühl für Distanzen und Möglichkeiten, diese in kürzester Zeit zu überwinden.

Man wurde somit Zeuge einer triumphalen Heimkehr mit großer Ehrung auf dem Eis. Nachdem der rote Teppich wieder eingerollt war, sollte, nein, musste „die Kati“ natürlich eine Kostprobe ihres Könnens abliefern. Alles schön und gut, aber warum kam sie nun ausgerechnet auf mich zu?

Die vorbereitete Shownummer begann mit dem Gag, sich in Richtung Zuschauer über die Bande zu lehnen. Da stand sie nun, einen Meter von mir entfernt. Einen Meter. Dazu noch in einem ihrer berühmt-berüchtigten, tief ausgeschnittenen Kostüme. Ich starrte also in das „schönste Dekolleté Gesicht des Sozialismus“, tausend Gedanken im Kopf, pubertäre Hormonaufwallungen im Körper. Heirate mich! Die sechs Jahre Altersunterschied? Egal! Ich tu doch alles für Dich! Ich halte dir sogar Heinz Florian Oertel und Erich Honecker vom Leib!

Doch statt als heldenhafter 14jähriger auf die Knie zu sinken und ihr den Antrag der Anträge zu machen, ließ ich sie ziehen. Ich hätte MacGyver sein können!

 

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