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Geben ‚Se mal ein Mikrofon. Oder: Live on stage! (1989)

Mein bis heute einziger öffentlicher Auftritt als Sänger resultiert aus einer Art altmodischer Ritterlichkeit, durch die ich die damalige Herzensdame aus einer kompromittierenden Situation heraushauen wollte – oder eher musste. Um zu erklären, wie ich die Holde den Klauen eines bekannten Popstars der DDR entreißen wollte, muss das Rad der Zeit wieder einmal zurückgedreht werden und zwar bis zum Wendeherbst des Jahres 1989.

Wie in mehreren Anekdoten schon mehrfach erwähnt, absolvierte ich zu jener Zeit meine Lehre in Radeberg bei Dresden und war wochentags in einem sogenannten Lehrlingswohnheim untergebracht, das des Namen des 1962 an der innerdeutschen Grenze erschossenen Hauptmanns Rudi Arnstadt trug. Jenes Internat beging nun 1989 sein 25jähriges Bestehen und hatte zu diesem Anlass eine große Fete im (mittlerweile abgerissenen) Radeberger Kulturhaus „Maxim Gorki“ organisiert. Getränke waren umsonst, selbst Alkohol ließ man zumindestens in Pilsform springen und ein für damalige Verhältnisse recht opulentes Fressbuffet zeigte an, dass sich die Radeberger ROBOTRON-Dependance nicht gerade hatte lumpen lassen. Dazu passte der musikalische Beitrag des Abends – immerhin hatte man sich mit Arnulf Wenning einen der bekanntesten Popsänger des Landes eingekauft.

Zu vorgerückter Stunde stürmte also nun Meister Wenning samt zweier recht ansehnlicher Background-Schicksen die Bühne, gab seine Hits wie „Rot so Rot“ zum Besten und brachte die Stimmung doch auf ein ansehnliches Niveau, auch wenn wie ja nicht wie übliches Konzertpublikum vor der Bühne standen, sondern an unseren Tischen hockten. Das schien nun den Sangesknaben auf die idee zu bringen, doch mal bei uns nach dem Rechten zu sehen. So schlenderte er also singend die an der Bühne befindlichen Stufen hinunter und latschte – Glück muss man haben – ausgerechnet auf meine Position zu, griff nach meiner neben mir sitzenden Freundin und schleppte sie, weiterhin trällernd, zurück auf die Bühne. Nach Beendigung des Songs begann eine öffentliche Befdragung:

Wenning: „Wie heißt du?“

Sie (verschüchtert und leise): „Jana.“

Wenning: „Watt? Erna???“ (allgemeine Heiterkeit)

Sie (nun lauter): „Jana!“

Wenning: „Okay, Jana. Wolln wir zusammen was singen?“

Sie: „Äh…nee, lieber nicht“

Wenning: „Och komm…“

Sie: „Ich kann nicht singen.“

Wenning: „Ach Quatsch, wir machen das jetzt gemeinsam!“

Ich rutsche auf meinem Stuhl herum. Sie sitzt da oben schwer in der Tinte und ich fühl mich verpflichtet, ihr beizustehen, aber wie? Mein Umfeld nimmt mir die Entscheidung ab, indem sie mich immer vehementer auffordern, auch auf die Bühne zu gehen. Um dem Ansinnen Nachdruck zu verleihen, wird erst vereinzelt, dann immer lauter und gemeinsam mein damaliger Spitzname (der hier nix zur Sache tut) skandiert, was auch den Entführer der holden Maid aufhorchen lässt:

„Was ruft ihr da – Gorbi???“

Ich bequeme mich also widerwillig in Richtung Bretter, die die Welt bedeuten und geselle mich zu dem anscheinend schwerhörigen Wenning und meiner Freundin, die mich mit einer Mischung aus „Danke!“ und „Ach, kommst du auch endlich mal?“ anschaut. Wir bekommen also unsere Instruktionen hinsichtlich unserer zu schmetternden Textzeilen. Sicherlich etwas DDR-typisch lyrisch-verquastes mit hehrem Anspruch an Kunst und Tiefgang. Und genauso kommt es dann auch:

„UH WAKA, UH WAKA – AFRIKA MAMA!“

Die Musik fängt an, die Background-Schicksen setzen sich in Bewegung, und unsereins „singt“ ins Mikro. Glücklicherweise hat Meister Wenning den Ehrgeiz, den ganzen Saal zum Mitmachen zu animieren, so dass bald Dutzende Leute die Bühne bevölkern und mehr oder weniger gekonnt obiges Highlight deutscher Dichtkunst zum Besten geben. Der Vorsänger stürmt kreuz und quer durch den Raum und hält jedem, der nicht rechtzeitig flüchten kann das Mikrofon unter die Nase. Aber erstaunlicherweise herrscht ausgelassene Partystimmung.

Was bleibt? Wir bekommen ein Poster, welches von den Bühnendamen zur Erinnerung mit Kussmündern dekoriert wird. Jana behält den Spitznamen „Erna“ bis zum Ende ihrer Lehrzeit, wir trennen uns Anfang 1990. Unsere nur wenige Monate dauernde Beziehung ist für satte fünf Jahre die längste, die mir glücken will. Arnulf Wenning singt immer noch und bei meinem damals als Augen- und Ohrenzeugen anwesenden besten Freund kann man bis heute  „UH WAKA, UH WAKA – AFRIKA MAMA!“ problemlos als Begrüßungsformel verwenden. Meine Sangesaktivitäten beschränken sich heute auf Kinderlieder, dieses traumatische Erlebnis hat mich jedenfalls stets erfolgreich davon abgehalten, mich an „SingStar“ und Konsorten auszutoben…

 

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