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Schlagwort-Archive: DDR

Horny checkers from da hood. Oder: Subversion im Zwergenformat (1986)

Der Drang, als Jugendlicher gesellschaftliche Konventionen zu brechen, hielt sich bei mir stets in engen Grenzen. Ob der allgemein repressive Umgang meines damaligen realsozialistischem Umfeld dabei eine Rolle spielte, vermag ich nicht zweifelsfrei zu sagen. Wie dem auch sei, ich war unauffällig, angepasst und trat nicht mit den Wächterstaat auf den Plan rufenden Aktionen in Erscheinung. Mit einer Ausnahme im Frühsommer 1986.

Ich verbrachte damals nicht selten meine nachmittägliche Freizeit mit meinem besten Schulbuddy, der auch im Unterricht gleich neben mir hockte, was der Aufmerksamkeit für das Geschehen an der Tafel eher wenig zuträglich war. Statt den lehrerseitigen Ausführungen andächtig zu lauschen, kritzelte man lieber skurrile Botschaften auf Zettel, beispielsweise Bilderrätsel, die der Umschreibung abseitiger Schlagertexte dienen sollten. So ließ ich ein Strichmännchen von einem mit einem großen Herzen versehenen Felsbrocken erschlagen, was die Umschreibung der unsterblichen Textzeile „Ein Gefühl stürzt da wild auf mich ein“ aus Olaf Bergers Heuler „Es brennt wie Feuer“ darstellen sollte. Ehe Gemaule kommt – wir waren gute Schüler, wir durften das.

Wie in diesen Jahren  wohl in beiden Teilen Deutschlands üblich, spielte man sich nun also in der Freizeit seine im Radio mitgeschnittenen musikalischen Neuentdeckungen vor, was gelegentlich auf Unverständnis und  Ablehnung, manchmal aber eben auch auf helle Begeisterung stieß. So auch an besagtem Nachmittag, an dem geradezu magische Worte aus dem Lautsprecher meines Kassettenrecorders klangen. „Ich bin geil – Du bist geil!“ Nun, wir reden über die Mitt-80er. Das ehemals schwer anstößige Wort für einen gewissen geschlechtlichen Erregungszustand hatte schon seit einiger Zeit seine germanistische Schmuddelecke verlassen und stand mittlerweile (gerne um Zusätze wie affen-, turbo- oder gar titten- ergänzt) für alles was früher allenfalls „knorke“ oder „schau“ gewesen war. Ich guckte damals leidenschaftlich gern „Extratour“ und war dank Bruno Jonas somit bereits abgehärtet. Aber dies nun also auch in musikalischer Form präsentiert zu bekommen, war eine neue Dimension. Geil eben.

Das konnte nicht unter uns bleiben, das musste raus zu den Leuten! Wir schnappten uns also den Recorder, stürzten auf die Straße, Lautstärkeregler selbstverständlich auf Anschlag und genossen es förmlich, von den vorbeigehenden Passanten dank des ohrenbetäubenden Sounds und des in unseren Augen natürlich atemberaubend aufsässigen Textes bestenfalls kopfschüttelnd angesehn zu werden. Aber wir fühlten uns großartig. Wir waren jung, wir waren frei, wir waren geil!

Hätten die von vornherein recht schwachbrüstigen Batterien des Geräts länger gehalten, wären wir vielleicht noch einer Autoritätsperson der unangenehmeren Sorte in die Arme gelaufen, so aber verlief dieser kurze Anflug von Revolution ohne Folgen. Fazit? Die Nonsens-Nummer der beiden Ex-Soldaten Bruce & Bongo war natürlich Schund, es blieb auch deren einziger Hit. Mein bester Freund, heute hochseriöser Statistiker bei der Bundesbank in Frankfurt, verließ mit seinen Eltern noch im März 1990 die DDR, ein Schritt, der mich damals persönlich schwer traf und auch unseren Kontakt einschlafen ließ. Und für mich gilt: Ein klein wenig Rebellion geht immer. Boris, deine Bühne…

 

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Fahnenflucht light. Oder: Der Kopfsprung des Todes (1989) – Update

Ein einziges Mal habe ich über eine Flucht aus der DDR nachgedacht. Glücklicherweise blieb dies nur eine kurzzeitiges Aufblitzen einer Idee, anderenfalls wäre es mir höchstwahrscheinlich übel ergangen. Zur Erklärung muss ich wohl oder übel etwas ausholen.

Die DDR war ein durchmilitarisierter Staat. Bereits als Kindergartenkinder wurden wir zu Besichtigungen in Kasernen gelotst, als Schüler der unteren Klassen trabte man bei öffentlichen Vereidigungen an, während man ab der Pubertät vom Schuldirektor regelmäßig in die Mangel genommen wurde, sich doch für 25 Jahre Dienstzeit bei der NVA zu verpflichten. Dazu schickte sich der 1978 in der DDR eingeführte Wehrunterricht an, aus uns frühzeitig kampfbereite Nachwuchssoldaten zu machen, was durch sogenannte „Wehrlager“ in Klasse 9 und im ersten Jahr meiner Berufsausbildung praktisch vertieft wurde.

In der Lehre sollte auch schon so etwas wie eine Laufbahnausbildung angegangen werden. Ich hatte mich breitschlagen lassen, in meinem nach der Berufsausbildung anstehenden Wehrdienst zur Marine gehen „zu wollen“ und so steckte man mich kurzerhand in die Sektion Seesport der Gesellschaft für Sport und Technik (GST). Daher verbrachte ich eine Woche im Februar 1989 in einem Marinekameradschaftsheim in Coswig bei Dresden, wo man sich mit Seemannsknoten, Winkflaggenalphabet und Dauerläufen die Zeit vertrieb. Dort bekam man allerdings auch schon einen Vorgeschmack auf die Unerbittlichkeit des DDR-Militärs. Logischerweise quatschten wir aus allen Himmelsrichtungen zusammengekarrten 17jährigen auch nach Ausrufung der Nachtruhe noch etwas, was uns ein 30minütiges Strafexerzieren mit Laufeinlagen im Pyjama bei Schneeefall eintrug.

Ein halbes Jahr später traf man sich in Coswig wieder. Auf drei Motorbarkassen sollte man innerhalb einer Woche die Elbe hinuntertuckern, über Havel und die Berlin umgebenden Gewässer und Kanäle zur Oder gelangen, diese teilweise auf polnischem Gebiet bis zum Stettiner Haff zu fahren, dann auf dem Peenestrom an Usedom vorbei über den Greifswalder Bodden hin zum Ziel Stralsund. Zunächst musste die Strecke abgekürzt werden, da die Boote mit dem letzten Normalpegel der Elbe bis zur Stadt Brandenburg an der Havel vorausfahren mussten und wir einen Tag später per LKW folgten, um die Reise anzutreten.

Bereits am zweiten Tag der Tag der Tour erreichten wir Berlin, das wir von Westen kommend nördlich umfahren sollten. Ich hatte gerade Dienst auf dem Hinterdeck des als Schlusslichts fahrenden Boots, als am rechten Ufer ein mindestens vier Meter hoher Drahtzaun auftauchte, hinter dem sich DDR-Soldaten mit Hunden bewegten. Die Grenze! Also musste das linke Ufer bereits West-Berlin sein. Und wenn ich jetzt einfach ins Wasser sprang und die höchstens 30 Meter schwamm? Ich weiß bis heute nicht, warum mir dieser Gedanke kam. Weder hatte ich unter irgendwelchen Repressalien gelitten, noch hatte mich die in diesen Wochen grassierende Fluchtwelle über Ungarn und die Botschaften angespornt, es den die DDR Verlassenden gleichzutun. Langeweile, jugendlicher Leichtsinn oder der Reiz des Undenkbaren – ich kann es nicht sagen. Schließlich waren wir eindeutig wieder mitten auf DDR-Territorium und die Gelegenheit war vorüber. Kopfschüttelnd ging ich wieder meinen Aufgaben nach.

Vielleicht lag ich damals mit meiner Einschätzung total falsch, vielleicht war der Zaun am rechten Ufer nur eine Art Vor-Sperre und ich wäre irgendwo im Niemandsland gelandet. Oder die Grenzer hätten mich einfach unter Feuer genommen, mich vielleicht getroffen und abgeknallt. 7 Wochen vor Fall der Mauer.

Nachtrag: Nach reiflicher Überlegung und dem Studium von Kartenmaterial bin ich mir mittlerweile sicher, damals einem grandiosen geographischen Irrtum aufgesessen zu sein. Denn aus dem Nachvollziehen unserer Fahrtroute geht eindeutig hervor, dass sich West-Berlin niemals zur linken Hand befunden haben kann. Der Zaun am rechten Ufer war wohl tatsächlich ein erstes Sperrelement, hinter dem sich noch ein weiteres und damit die eigentliche Grenze befunden haben muss. Außer nassen Füßen und gewaltigen Schwierigkeiten hätte ein Bad in den Fluten also rein gar nichts eingebracht.

 
 

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CSI Elbland. Oder: Jugend forscht! (1988)

Zweimal in meinem Leben kam ich, wenn auch nur indirekt, mit der Stasi in Berührung. Zwar entpuppten sich einige meiner Lehrer in der Nachwendezeit als Inoffizielle Mitarbeiter (IM), diese waren aber allem Anschein nach auf ihre Pädagogenkollegen, statt auf uns kleine Schulbankdrücker angesetzt. Ich habe in den vergangenen zwei Jahrzehnten mehrfach überlegt, aus reinem Interesse bei der Dresdener Dependance der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU) einen Antrag auf Aktenauskunft zu stellen, dies jedoch wegen höchst wahrscheinlicher Ergebnislosigkeit stets wieder verworfen. Ich stamme aus keinem kirchlichen oder Dissidentenhaushalt und war im und an das System angepasst. Nein, als Politrevoluzzer war mit mir damals kein Staat zu machen.

Meine erste Begegnung mit dem selbsternannten „Schild und Schwert der Partei“ datiert auf die frühen 80er in mein zweites oder drittes Schuljahr. Zu einem der damals regelmäßig durchgeführten Pioniernachmittage erschien der Vater eines Mitschülers, der uns als „Kriminalist“ vorgestellt wurde. Die Familie wohnte in meinem Hauseingang zwei Etagen über uns und der Sohn des Hauses hatte mit mir schon die Kindergartenzeit geteilt. Nun zeigte uns der vorgebliche Kripo-Beamte allerlei Tricks und Kniffe der Spurensicherung und erkennungsdienstlichen Behandlung. Klar, dass das vor allem die Jungs interessierte. Fingerabdrücke abnehmen oder gar von einem Gegenstand sichern? Aber hallo! Stolz wie Bolle erzählte ich zu Hause meinen Eltern davon, die sich meiner Erinnerung nach nur wissend, aber stumm anblickten. Die Aufklärung, keinen Kriminalbeamten sondern einen waschechten Stasi-Offizier vor sich gehabt zu haben, wurde mir erst Jahre später nachgereicht. Jener Mielke-Bedienstete wurde wenig später an die stasieigene Hochschule in Potsdam versetzt, wodurch ich meinen Buddelkastenfreund aus den Augen verlor. Was aus Vater und Sohn im wiedervereinigten Deutschland wurde, ist für mich schon von Interesse, vielleicht sollte ich mit den Möglichkeiten des Internets etwas Recherche betreiben.

Jahre später gelangte die große DDR-Politik in unsere Provinzstadt. Am 17. Januar 1988 wurde der mit Berufsverbot belegte Liedermacher Stephan Krawczyk in Ost-Berlin verhaftet, wenige Tage darauf auch seine damalige Frau, die Theaterregisseurin Freya Klier. Das Paar wurde vor die Wahl zwischen 12 Jahren Gefängnis und Ausreise aus der DDR gestellt und am 2. Februar 1988 in die Bundesrepublik abgeschoben. Zwischen diesen beiden Daten saßen beide in der Untersuchungshaftanstalt der Staatssicherheit in Berlin-Hohenschönhausen ein und dies war der Anlass, dass über Nacht ausgerechnet an der Außenwand einer Kaserne der sowjetischen Garnison meiner Heimatstadt ein mit riesigen grünen Buchstaben gemaltes „FREIHEIT FÜR KRAWCZYK!“ auftauchte. Als diese Neuigkeit in der Stadt die Runde machte und ich die Losung noch selbst in Augenschein nehmen konnte, wurden die Buchstaben eiligst von den Rotarmisten überpinselt, während die Stasi zu ihren Ermittlungen ausschwärmte. Mehrere Angehörige meiner Schulklasse, die in unmittelbarer Nachbarschaft des Gebäudes wohnten, bekamen so unangemeldeten Besuch und wurden verhört, ebenso Familienangehörige und ältere Geschwister. Obwohl ich nur etwa 300 Meter vom Ort des Geschehens entfernt wohnte, ging dieser Kelch an mir und meiner Familie vorbei. Bis heute weiß ich nicht, ob der mutige Urheber je gefunden wurde, auch dies sicherlich ein Anlass, einmal gründlicher in der Stadtgeschichte zu forschen.

 
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Verfasst von - 31.10.2012 in 1988, 80er, Schulgeschichten, Zoon Politicon

 

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